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 Christian v. Ditfurth
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Aus Rezensionen
über "Mit Blindheit geschlagen":

"Mehr als einmal fragt sich Stachelmann, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn ihn vor Jahren eine anmutige Staublunge heimgeholt hätte. Das aber wäre für ihn und anspruchsvolle Krimileser wie uns ausnehmend schmerzlich gewesen."
Die Welt

"Schnell ist man hierzulande mit Etiketten wie 'der deutsche Mankell' bei der Hand ... Abgesehen davon, dass sich mit dem Ditfurth-Stoff die Nächte ebenso trefflich kürzen lassen, wird man dem Autor damit nicht gerecht. Seine Figur ist unverwechselbar."
Westdeutsche Allgemeine Zeitung

"Ein kenntnisreich erzählter, süffig geschriebener, atmosphärisch starker Kriminalroman"
Deutsche Welle

"Reihum glänzende Kritiken"
Darmstädter Echo

"Mit seinem Stachelmann hat Ditfurth der deutschen Krimiszene einen Charakter geschenkt, der sich hoffentlich oft in den Gespinsten deutscher Vergangenheit verfängt."
Kieler Nachrichten

"Auch in seinem zweiten Stachelmann-Krimi zeigt sich von Ditfurth als einer der besten deutschen Krimiautoren."
Max

"Dieser unfreiwillige Ermittler und sein Autor gehören zum Besten, was die deutsche Krimilandschaft derzeit zu bieten hat."
Nordkurier

"Der muffelige Geschichtsprofessor ist mir irgendwie ans Herz gewachsen."
Brigitte

"Dieser Krimi ist intelligent, mit Rückblenden und Schnitten geschickt aufgebaut und sehr, sehr spannend."
Lübecker Nachrichten

"Was Josef Maria Stachelmann zutage fördert, wirft ein helles Licht auf das, was bisher im Dunkeln blieb."
Badische Zeitung

"Ausgesprochen gut recherchiert, unterhaltsam geschrieben und spannend. ... Das Szenario erscheint erschreckend real."
NDR Info

"Wir lesen, und sofort werden wir in die Handlung gesogen; die Spannung steigt, ... und am Schluss werden alle Fäden entwirrt, logisch überzeugend."
Gießener Allgemeine

"Der wohl sympathischste und glaubwürdigste Ermittler, der derzeit auf dem deutschen Krimimarkt zu haben ist"
amazon.de

"Das Finale ... schreit nach Verfilmung."
Sächsische Zeitung

"Der Krimi fesselt einen so sehr, dass man ihn gar nicht mehr aus der Hand legen möchte."
dpa

"Stachelmanns zweiter Fall ... zeigt: Beim Krimi lohnt Umsteigen auf deutsche Autoren!"
Buchmarkt

"Dieser ungewöhnliche Krimi besticht durch eine exzellente Dramaturgie."
Buchrezensionen online

"Eine spannende und schlüssige ... Geschichte, wie sie nur in Deutschland spielen kann."
Kölner Stadtanzeiger

"Ein böses Sittengemälde aus Deutschland."
Der Standard (Wien)

"Beklemmendes historisches Kolorit"
Zofinger Tagblatt
/ Mittelland-Zeitung (Schweiz)

 Rezensionen

 

Aus Rezensionen
über "Mann ohne Makel":

"Ein packender Krimi, der zeigt, dass deutsche Autoren mit deutschen Themen bestens gegen internationale Konkurrenz bestehen können."
Focus

"Ein erstklassiger Roman"
Brigitte

"Ein höchst intelligenter, spannender und lesenswerter Krimi"
WDR 4 Radio

"Wünscht man sich also noch mehr Fälle für Josef Maria Stachelmann."
Die Welt

"Wallander ... hinterlässt eine schmerzende Lücke bei Krimilesern. Vielleicht aber gibt es Trost. Der kommt aus Hamburg, heißt Josef Maria Stachelmann und ist Historiker."
NDR Fernsehen

"Vielleicht macht gerade diese Mischung aus Menschen- und Geschichtskenntnis das Buch vom 'Mann ohne Makel' so unterhaltsam und spannend zugleich."
WDR 2 Radio

"Virtuos verwebt"
Südkurier

"Ein deutscher Thriller vom Feinsten"
Wilhelmshavener Zeitung

"Superspannend"
Rheinische Post

"Deutschlands Antwort auf Henning Mankell"
playboy

"Eine packende Geschichte!"
Hamburger Abendblatt

"Lässt ... auf weitere Ermittlungen dieses auf sympathische Weise zerknitterten Historikers in der Rolle des Amateurdetektivs hoffen."
NDR Radio 3

"Hohes Suchtpotential"
Saarbrücker Zeitung

"Spannende Krimi-Geschichte"
Hannoversche Allgemeine

"Grausam genug, dass das spannend sein kann"
Badische Zeitung

"Angenehm ist es, im Leben oder im Buch einen Menschen zu finden, den man auf Anhieb sowohl interessant als auch sympathisch findet."
Sächsische Zeitung

"Mit dem stets vom privaten und beruflichen Scheitern bedrohten Uni-Dozenten (...) besetzt von Ditfurth eine vakante Stelle unter den literarischen Ermittlern."
Nordkurier

"Der erste Krimi überhaupt mit einem Historiker als Detektiv"
Lübecker Nachrichten

"Kunststück bravourös gelungen"
dpa

"Einen Stachelmann erfindet man schließlich nicht alle Tage."
Kölner Stadt-Anzeiger

"Makellos spannendes Werk"
Hersfelder Zeitung

"Es ist eines dieser seltenen Bücher, bei denen man nicht nur gut unterhalten wird, sondern auch noch viel Geschichtswissen vermittelt bekommt."
Pforzheimer Zeitung

"Eine wirklich neuartige Figur in der Krimiwelt"
P. S.

"Vermag die Lektüre ums bittere Erbe der Naziväter angenehm leichtgängig zu unterhalten"
Bremer

"Unnachahmlich"
Buchmarkt

 Rezensionen

 

 

Probekapitel

 

1.

"Ziehnse die Vorhaut zurück."
Er zog die Vorhaut zurück. Der große, hagere Uniformierte betrachtete das Glied des Gefangenen. Dann musste der sich nach vorn beugen und die Gesäßbacken auseinanderziehen. Der Uniformierte beäugte den After des Gefangenen. Dann musste der sich mit dem Gesicht an die Wand stellen. Im Augenwinkel sah der Gefangene, wie ein anderer Uniformierter seine Kleidung durchwühlte. In einer Ecke des Raums stand ein dritter, er war fett. Er beobachtete. Alle hatten sie Knüppel am Gürtel und auf der anderen Seite ein Pistolenhalfter. Der Hagere gab dem Gefangenen einen Stapel. Darin ein grauer Trainingsanzug, Unterwäsche, Handtücher, blauweißes Bettzeug, obenauf Becher, Teller und Hausschuhe. Er befahl dem Gefangenen, sich anzuziehen. Der Gefangene zog den Trainingsanzug an. Er war verschlissen, die Hose rutschte.
Ein vierter Uniformierter betrat den Raum. Er sagte zum Gefangenen: "Gehnse!" Er zeigte die Richtung an. Sie stiegen Treppen hinauf und hinunter und kamen in einen Gang mit vielen Türen und ohne Fenster. Flecken auf dem Betonboden, an der Decke Neonleuchten, eine flimmerte. An manchen Stellen waren Linien auf dem Boden gezeichnet. Dort musste der Gefangene warten. "Gesicht zur Wand, Hände auf den Rücken!" Der Wächter schaute um die Ecke, dann drehte er an einem Schalter. Das grüne Licht an den Wänden ging aus, rote Lampen leuchteten auf. Sie liefen weiter. "Halt!" Er öffnete eine Tür, der Gefangene erschrak, als er in den Raum blickte. Er wurde hinein geschoben, die Tür fiel zu. Der Raum war klein, die Wände waren aus Beton, statt eines Fensters waren wenige Glasbausteine hochgemauert. Über der Tür brannte hinter einem in die Wand eingelassenen matten Glas eine Glühbirne. An einer Seite standen eine Holzpritsche mit erhöhtem Kopfteil, an einer anderen ein Klapptisch und ein Stuhl, in einer Ecke ein Porzellan-WC.
Er setzte sich auf die Pritsche und starrte an die Wand. Eine braune Linie zog sich knapp in Bauchhöhe an der Wand entlang, zwei Finger breit. Darüber war die Wand ocker, darunter schmutzigweiß gestrichen. Der Gefangene stützte die Ellbogen auf die Knie und legte sein Gesicht in die Hände. Er merkte, dass er den Kopf schüttelte. Dann dachte er, das ist ein Irrtum. Sie wissen nichts. Du bist spazieren gegangen, sonst nichts. Wer kann etwas dagegen haben, dass einer spazieren geht? Sie müssen dich wieder raus lassen.
Schritte auf dem Gang. Riegel klackten, Türgeknarre, alle Geräusche gedämpft durch die schwere graue Tür. Im Guckloch erschien eine Pupille, sie verschwand gleich wieder. Nasse Kälte kroch dem Gefangenen die Beine hoch.


2.

Er schimpfte vor sich hin. Obwohl er aufgepasst hatte, verfehlte er den Abzweig, überraschend war das Schild nach der Kreuzung aufgetaucht. Er kam sich vor wie ein Fremder, dabei hatte er mehr als die Hälfte seiner Schulzeit hier verbracht. Aber auf dem Waldfriedhof war er nie gewesen. Stachelmann bog rechts ab in eine Seitenstraße mit Einfamilienhäusern, fuhr zweimal rechts und war zurück auf der Straße nach Reinbek. Dort fuhr er links und erreichte gleich wieder die Kreuzung. Wieder zu weit, diesmal aus der anderen Richtung. Er hätte geradeaus fahren müssen, als er wieder an der Durchgangsstraße stand. Er schlug mit der Hand aufs Lenkrad und spürte den Schweiß unter den Achseln. Zuvor hatte er fast eine Stunde im Stau verbracht auf der Autobahn zwischen Reinfeld und Bad Oldesloe. Er kam zu spät zur Beerdigung seines Vaters.
Auf dem Parkplatz neben dem Friedhof standen nur wenige Autos. Er stellte seinen alten Golf in die Nähe des Gittertors. Noch im Auto sah er die Kapelle, sie leuchtete weiß. Er ging durch das Tor, vorbei an einem Betonturm, in dem eine Glocke hing. Eisiger Wind ließ ihn frösteln. Der Eingang der Kapelle lag zwischen zwei grau lackierten Stahlsäulen, die das Spitzdach der Kapelle stützten. Stachelmann öffnete die Holztür und sah den Geistlichen auf der Kanzel. In den ersten drei Reihen saßen verstreut ein paar Leute, zwei oder drei schauten sich um nach ihm. Er las Unverständnis in den Blicken. Auf dem Stuhl am Gang in der ersten Reihe saß eine Frau, ganz in Schwarz. Das war seine Mutter. Sie war klein und dünn. Der Platz neben ihr war frei. Stachelmann hörte, dass der Pfarrer sprach, aber er verstand ihn nicht. Er setzte sich neben seine Mutter, die schaute irgendwo auf den Boden. Stachelmann schlug seine Beine übereinander und faltete seine Hände auf dem Knie. Da legte seine Mutter die Hand auf seine und drückte sie kurz. Er schaute nach vorn und nahm erst jetzt den Sarg wahr. Der war bedeckt mit Kränzen und Schleifen. "In Dankbarkeit" stand auf der Schleife des Polizeisportvereins.
Plötzlich war es still. Der Pfarrer verließ die Kanzel. Dann erklang im Hintergrund Musik, ein Largo-Satz aus einem Violinkonzert von Vivaldi. Sein Vater hatte es geliebt und in der Interpretation von Yehudi Menuhin und dem Polnischen Kammerorchester oft gehört. Stachelmann fiel ein, wie sein Vater früher die Platte an manchem Abend auf den Dualplattenspieler gelegt und andächtig gelauscht hatte. Dann mussten alle ruhig sein, während der Vater mit halb geschlossenen Augen hörte und sein Körper kaum sichtbar mitschwang.
Als das Stück beendet war, ging der Pfarrer zur Tür, die Mutter stand auf, Stachelmann folgte ihr. Vier Männer in dunkelgrauer Kluft schleppten den Sarg hinaus. Draußen formte sich der Zug. Der Pfarrer, die Mutter und Stachelmann folgten dem Sarg. Dem voran schritt ein Junge mit einem Kreuz. Die Trauergäste bildeten den Abschluss. Sie liefen auf einem Weg aus Erde, Sand und Kiesel, vorbei an parzellenförmig geordneten Gräbern unter Bäumen mit mächtigen Kronen. Manchmal durchbrachen Sonnenstrahlen die schweren Wolken, dann glänzte die Nässe auf den Grabsteinen. Stachelmann wartete auf die Schmerzen, sie würden kommen, das war gewiss. Er tastete die Knöpfe seines Mantels ab, um sich zu vergewissern, dass sie geschlossen waren. Er fror am Hals, den Schal hatte er vergessen.
Der Zug hielt am Rand des Friedhofs, an einem weißen Grabstein. Daneben war eine Grube ausgeschachtet, zwei Schaufeln lehnten am Zaun. Die Träger stellten den Sarg ab neben der Grube. Der Pfarrer sprach von Asche und Erde, Stachelmann betrachtete den weißen Stein des Nachbargrabs. Er sah aus wie ein Hinkelstein, lief oben spitz zu. Darauf eingraviert in Versalien: Will, Adolf H.; gest. 15. Nov. 2001; geb. 22. April 1954. Was hieß "H."? Helmut, Heinz, Hans? Da hatten Eltern ihren Sohn Adolf H. getauft, neun Jahre nach Ende des Kriegs. Der Sohn war vor genau zwölf Monaten gestorben, und Stachelmanns Vater würde neben ihm begraben sein. So würde Stachelmann auf Adolf H. treffen, wenn er das Grab seines Vaters besuchte. Aber das war noch nicht ausgemacht.
Während der Pfarrer sprach, fiel Stachelmann das letzte Gespräch mit seinem Vater ein. Das war zwei Jahre her. Sie hatten sich gestritten über die Lebenslüge seines Vaters, der Ende des Kriegs als Postbeamter Hilfspolizist wurde, um ein Bombenräumkommando aus Sträflingen zu bewachen. Er sah immer noch die Verbitterung in den Augen des Vaters. Seit dem Gespräch hatte Stachelmann nicht mehr mit ihm geredet. Nun wartete er auf das schlechte Gewissen; wenn einer tot ist, kann man nichts nachholen. Aber das schlechte Gewissen rührte sich nicht.
Seine Mutter stieß ihn leicht am Arm. Stachelmann schaute auf und sah, der Pfarrer hat seine Ansprache beendet, die Träger senkten den Eichensarg an Seilen ins Grab. Als der Sarg abgestellt war, traten die Mutter und Stachelmann an den Rand der Grube. In einem Erdhaufen steckte eine kleine Schaufel. Die Mutter nahm sie, hob ein bisschen Erde vom Haufen und warf sie auf den Sarg. Stachelmann tat es ihr nach. Dann stellten beide sich ein Stück seitlich von der Grube auf und warteten auf die Trauergäste. Ein alter Mann warf Erde ins Grab, dann steckte er die Schaufel wieder in den Haufen und näherte sich der Mutter und Stachelmann. Der Mann gab der Mutter die Hand und murmelte etwas von Beileid, dann gab er Stachelmann die Hand. Stachelmann begegnete einem harten Blick, Hass steckte darin. Ein Paar näherte sich, sie hinkte, er ging am Stock. Auch sie drückten der Mutter die Hand, an Stachelmann gingen sie vorbei. Die Mutter warf einen kurzen Blick zu ihrem Sohn, sie schien mit den Achseln zu zucken. Eine Träne stand ihr im Augenwinkel. Von den verbleibenden Trauergästen verweigerte niemand mehr Stachelmann den Händedruck, aber freundlich schaute ihn keiner an.
Als der Letzte auf dem Weg zum Parkplatz war, fragte Stachelmann die Mutter: "Wer sind diese Leute?"
"Freunde deines Vaters."
"Aus dem PSV?"
"Auch."
Mitglied im Polizeisportverein war auch Hermann Holler gewesen, erst SS-Sturmbannführer, dann Makler. Wegen seiner Verbrechen in der Nazizeit waren die Frau und die Kinder seines Sohns Maximilian ermordet worden, Jahrzehnte danach. Stachelmann war zufällig verwickelt worden in diesen Fall, hatte den Mörder überführt und den alten Holler gestellt, der den eigenen Tod simulierte, um unterzutauchen. Der Jude Leopold Kohn hatte sich gerächt. Hermann Holler hatte Kohns Familie ermorden lassen und deren Besitz geraubt. Die Lokalpresse überschlug sich, ein Historiker hatte die schrecklichste Mordserie seit dem Krieg aufgeklärt und die Polizei schlecht aussehen lassen. Es war erstaunlich, was die Medien Stachelmann andichteten, wo sie ihn doch nicht kannten und er mit keinem Journalisten sprach. Dann fanden sie eine andere Sensation und ließen ab von Stachelmann. Dessen Vater hatte den alten Holler gekannt, und die Trauergäste hassten Stachelmann, weil er ihre Vergangenheit ans Licht gezogen hatte. Die Polizei hatte nicht nur den Verkehr geregelt in der Nazizeit, ohne sie wären Ausplünderung, Deportation und der große Mord nicht möglich gewesen. Die alten Kameraden des Vaters im Polizeisportverein hatten Grund, Stachelmann zu hassen.
"Du musst nicht mit zum Leichenschmaus", sagte die Mutter, als sie an dem Glockenturm aus Beton vorbeiliefen.
Stachelmann nickte.
"Aber du musst mich bald besuchen. Wenn das vorbei ist."
Stachelmann gab der Mutter die Hand. Sie hielt sich gerade, streckte ihr Kreuz, als wollte sie sich wehren gegen die Last. Dann ging er mit schnellen Schritten zu seinem Auto und fuhr los. Er drehte sich nicht um. Unterwegs überlegte er, wann die Trauer käme. Er spürte nichts, vermisste seinen Vater nicht, Wehmut fühlte er nur, wenn er an Episoden dachte, die weit zurück lagen. Spiele mit dem Vater in der Kindheit. Der Vater als Helfer, wenn es Ärger gab in der Schule. Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke. Stachelmann war ein behütetes Kind gewesen, der Zwist kam später, zu spät, Stachelmann hätte den Vater früher fragen müssen. Ihr letztes Gespräch fiel ihm ein, als der Vater berichtete und doch nur Unverständnis erwartete. Die Behörden hätten ihn in den letzten Monaten des Kriegs an einen Platz gestellt, und er habe seine Pflicht getan, wie jeder andere Deutsche auch. Er hatte die Sträflinge nicht verhaftet und nicht abkommandiert zum Bombenräumen. Er passte auf sie auf, und wenn einer weg lief, fing er ihn wieder ein. Es war Krieg; einer, der nicht dabei war, kann das nicht verstehen.
An der Universität warteten Hausarbeiten von Teilnehmern seines Hauptseminars. Er hätte längst beginnen müssen mit der Korrektur, aber sie langweilte ihn. Je länger er sie hinausschob, desto stärker wurde der Druck. Es war immer so. Am Abend gab es bei Bohming den Empfang für den neuen Kollegen aus Berlin, Zeit genug, ein paar Arbeiten zu lesen und zu benoten. Stachelmann setzte sich auf den Schreibtischstuhl und lehnte sich zurück. An Holler hatte er schon lange nicht mehr gedacht, jetzt kehrte die Erinnerung zurück. Was wohl Holler junior trieb? Er spielte mit dem Gedanken, Ossi anzurufen, seinen Freund aus Studientagen, der bei der Hamburger Kripo arbeitete. Der wusste gewiss, was Maximilian Holler tat. Mit Ossi Winter hatte er schon lange nicht mehr gesprochen, sie hatten sich gestritten bei den Ermittlungen und den Streit danach nicht ausgeräumt. Er wusste nicht mehr genau, um was es gegangen war.
Er wollte über all das nicht mehr nachdenken, und das war ihm einigermaßen gelungen bis zur Beerdigung des Vaters. Wenn er an den Fall Holler dachte, fiel ihm die Zeit mit Anne ein. Anne, die ihn enttäuscht hatte und von der er manchmal zu wissen glaubte, sie dachte ähnlich über ihn. Auch wenn er nicht wusste, warum sie so denken sollte. Er hatte Abwehrkräfte entwickelt, gelernt, sachlich mit ihr umzugehen, guten Tag zu sagen und tschüss und ihr aus dem Weg zu gehen, wenn es möglich war. Er hatte sich darin eingerichtet. Anfangs schaute sie ihn manchmal traurig an, als wollte sie ihn auffordern, mehr zu sagen. Aber dann überzeugte er sich, er bilde es sich nur ein. Ein paar Mal hätte er sie fast angesprochen, aber er wusste nicht, was sie erwartete. Und dann war sie eines Tages schwanger gewesen von einem anderen. Als er es hörte, betrank er sich und erschien am nächsten Tag nicht im Philosophenturm.
Er griff nach einer Hausarbeit, sie schilderte die Einführung der Reichsfluchtsteuer in der Weimarer Republik. Diese Steuer diente der Devisenbewirtschaftung in der Weltwirtschaftskrise und wurde später eine der schärfsten Waffen der Nazis, als die daran gingen, die Juden auszurauben. Er las zwei, drei Seiten und schob die Arbeit wieder weg. Sie war nicht schlecht, aber nicht originell. Zusammengeschrieben aus Büchern, viele Zitate. Er war ungerecht, er wusste es. Er verlangte zu viel von seinen Studenten und machte sie verantwortlich für seine Langeweile.
Es klopfte, er dachte an Anne und ärgerte sich. Es war Renate Breuer, die Sekretärin des Historischen Seminars. "Sie denken an den Empfang?", fragte sie.
Er nickte, Renate Breuer schloss die Tür, nachdem sie ihn einen Augenblick unfreundlich angestarrt hatte. Stachelmann zog die Hausarbeit wieder vor sich, blätterte und schob sie wieder weg. Er verschränkte die Hände hinterm Nacken und rollte mit dem Stuhl ein Stück weg vom Schreibtisch. Dann stand er auf und schaute hinunter auf den Trubel des Von-Melle-Parks. Natürlich dachte er an den Empfang. Professor Wolf Griesbach trat seinen Dienst an, einer, der es fast schon geschafft hatte. Besser C 3 als gar nicht habilitiert. Stachelmann kannte einige Veröffentlichungen des Neuen, auch der beschäftigte sich mit dem Nationalsozialismus. Als Professor ohne Lehrstuhl besaß er alles, was einer haben musste, der eines Tages Hasso Bohming nachfolgen würde, dem Sagenhaften, wie er am Seminar genannt wurde, weil er so blumig berichtete von seiner Beteiligung an all den Historikerschlachten. Er war ein Angeber, aber kein schlechter Kerl. Einer, der es gut meinte mit Stachelmann und doch Griesbach geholt hatte aus Berlin. Stachelmann nahm sich vor, kein schlechtes Wort zu sagen über den Neuen. Griesbach war offenbar gründlich und zurückhaltend, hatte ein gutes Urteilsvermögen, das musste er einräumen. Der hatte erreicht, was Stachelmann anstrebte. Stachelmann erinnerte sich an einen Aufsatz Griesbachs in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte, der ihn beeindruckt hatte. Neid keimte in ihm, er mühte sich, ihn wegzuwischen. Ganz gelang es nicht. Er stritt mit sich, erklärte sich seinen Neid mit dem eigenen Versagen. Warum hatten es andere einfacher? Weil du es dir selbst schwer machst. Dann fiel ihm die Beerdigung wieder ein. Was bist du für ein Mensch? Dein Vater wurde gerade beerdigt, und du denkst nur an dich. Die Trauer ließ sich immer noch nicht blicken. Vielleicht lag es daran, dass er seinen Vater schon vor zwei Jahren verloren hatte.
Als er in Bohmings Dienstzimmer kam, waren die anderen schon da. Ostermann, zurzeit Bohmings Lieblingsassi, machte mit Witz auf Kellner. Er hatte sich einen devoten Blick zugelegt und verbeugte sich pausenlos. Mit gespielter Eleganz jonglierte er mit einem Tablett, Sekt und Orangensaft, an der Wand waren auf einem langen Tisch Schnittchen mit Fleisch und Fisch ausgelegt, der Neue gab sich spendabel. Stachelmann entdeckte einen Mann, der dem Eingang den Rücken zukehrte, das musste Griesbach sein. Er stand vor Bohming, und der hörte zu. Neben Griesbach sah Stachelmann eine schlanke Frau mit dunkelbraunen Haaren, einem kurzen Rock und langen Beinen. Sie verfolgte das Gespräch zwischen Griesbach und dem Sagenhaften. Stachelmann kannte sie nicht. In einer Ecke entdeckte er Anne im Gespräch mit dem schönen Kugler, der sich mal wieder eingeschlichen hatte von den Politologen, wo er hingehörte und, ging es nach Stachelmann, hätte bleiben sollen. Rolf Kugler war immer auf der Suche nach Frauen, alle witzelten darüber. Kugler kümmerte es nicht und widmete sich seiner Mission mit erstaunlichem Erfolg. Stachelmann ärgerte sich, dass Anne mit ihm sprach. Er schaute weg, aber nicht schnell genug, um nicht einen Blick von ihr einzufangen. Er hatte ihren dicken Bauch gesehen. Er hatte sich gemartert, wer der Vater sei, es aber nicht gewagt, jemanden zu fragen. Sie hatte eines Tages Renate Breuer erzählt, sie sei schwanger, und die Sekretärin hatte es herumgetratscht. Wenn man wollte, dass etwas bekannt wurde, musste man es Renate Breuer erzählen.
Plötzlich stand Ostermann vor ihm mit seinem Tablett. "Herr Historienrat wollen doch nicht verdursten an einem so wunderbaren Tag", sagte er. Stachelmann nahm einen Orangensaft und wusste nicht, wohin er sich stellen sollte.
Da winkte Bohming plötzlich, rief: "Josef, komm mal her!" Er winkte noch einmal.
Stachelmann stellte sich zu der Gruppe.
"Das ist Josef Maria Stachelmann, nicht nur ein ausgezeichneter Kollege, sondern auch so eine Art Detektiv", sagte Bohming mit Öl in der Stimme.
Stachelmann winkte ab.
"Ich habe davon gehört", sagte Griesbach. Er hatte eine sympathische Stimme. Und er sah gut aus. Beides ärgerte Stachelmann, und es ärgerte ihn noch mehr, dass es ihn ärgerte.
"Reiner Zufall", sagte Stachelmann, "und schon zwei Jahre her."
"Das ist meine Frau Ines", sagte Griesbach. "Sie ist Kollegin, wenn zurzeit auch ohne Anstellung, oder sollte man besser sagen, Zeitvertrag."
Ines lächelte ihn aus braunen Augen an. Sie hatte einen festen Händedruck. Als Stachelmann mit dem Kopf nickte, blieben seine Augen an ihrer Bluse hängen. Sie trug keinen Büstenhalter, die Brustwarzen ragten hervor. Dann merkte er, seine Augen waren einige Augenblicke zu lang hängen geblieben, er schaute auf und spürte, wie er errötete. Sie strahlte ihn an. In ihrem Blick lag ein Einverständnis.
"Auch ich habe von Ihnen gehört. Vor allem, dass Sie ein Tiefstapler sein sollen." Sie lachte und warf den Kopf nach hinten.
"Mit dem Transportwesen habe ich nun wirklich nichts zu tun, auch wenn ich mich mal in etwas eingemischt habe, das mich nichts anging. Genauer gesagt, ich wurde eingemischt." Er sah im Augenwinkel Horst Lehmann das Zimmer betreten. "Entschuldigen Sie bitte, da kommt der Kollege Lehmann, mit dem muss ich dringend etwas besprechen."
"Nur wenn sie schwören, dass Sie wiederkommen", sagte sie leise.
Es berührte ihn. Als er ging, sah er, dass Wolf Griesbachs Augen ihm folgten. Stachelmann glaubte, eine Frage darin zu lesen. Er wechselte ein paar Worte mit Lehmann und ging dann zur Toilette. Dort schaute er in den Spiegel. Er fand sich älter als dreiundvierzig Jahre und hässlich. Die Stirnglatze glänzte, die verbliebenen Haare waren zu früh ergraut. Der Bauchansatz wölbte das Hemd über dem Gürtel. Was konnte eine Frau finden an ihm? Er wusch sich die Hände und ging in sein Dienstzimmer. Was für ein Tag. Am Mittag den Vater beerdigt, am Nachmittag gefaulenzt, dann ein Bild eingesammelt von einer Frau, von dem er wusste, er würde es eine Weile mit sich tragen.
Er setzte sich wieder an den Schreibtisch. Dann kam der Schmerz, er kroch über die Beine nach oben. Stachelmann streckte den Rücken und durchsuchte seine Taschen nach einer Tablette. In der Jacketttasche fand er eine Diclofenac, er schluckte sie trocken. Es klopfte an der Tür, sie öffnete sich, ohne dass er etwas gesagt hatte. Griesbach guckte durch den Spalt. "Viel zu tun?", fragte er.
Stachelmann nickte, er hatte einen Kloß im Hals. Er hatte sich verdrückt vom Empfang, das war ihm peinlich.
Griesbach blieb in der Tür stehen. "Vielleicht verraten Sie mir demnächst die Geheimnisse?"
"Geheimnisse?"
"Was man hier wissen muss als Neuer. Damit ich nicht in Fettnäpfchen tappe. Das ist gewissermaßen mein Steckenpferd, Sie verstehen?"
Stachelmann musste grinsen. "Dann sind Sie auf diesem Gebiet mein schärfster Konkurrent. Es gibt kein Fettnäpfchen im Philosophenturm, in dem Sie nicht schon Fußabdrücke von mir finden. Kommen Sie rein!" Stachelmann zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
"Was macht Ihre Habil?", fragte Griesbach.
Stachelmann änderte seine Sitzposition, um dem Schmerz auszuweichen. "So genau weiß ich das selbst nicht." Er hatte den Berg der Schande aufgelöst, die Aktenstapel, die gewachsen waren, um Stachelmann noch mehr abzuschrecken. Als er nach Hermann Hollers Hinterlassenschaft in Naziakten suchte, hatte er gemeinsam mit Anne den Berg abgetragen. Inzwischen war der Entwurf seiner Habilitationsschrift zur Geschichte des Konzentrationslagers Buchenwald fertig, die Datei lag auf der Festplatte seines Computers, und er fürchtete sich vor dem, was er geschrieben hatte. Er hatte eine Vorstellung, was er schreiben wollte, aber als es geschrieben war, schien es seinem Maßstab nicht zu entsprechen. Ob die Arbeit schlecht war oder sich seine Ansprüche verändert hatten, er wusste es nicht. Aber er wusste, der Entwurf legte ihn fest, noch einmal würde er es nicht schaffen, eine neue Arbeit war nicht vorstellbar, und so musste er den Entwurf verbessern und fürchten, dass er am Ende nicht zufrieden sein würde. Es half nichts, dass er sich einredete, er sei noch nie zufrieden gewesen mit sich und dem, was er schrieb. Warum sollte es diesmal anders sein? Doch seine Sorgen gingen den anderen nichts an.
"Bohming hält ja große Stücke auf Sie", sagte Griesbach. "Große Stücke."
Stachelmann stellte sich vor, wie Griesbach seiner Frau die Bluse auszog. "Er übertreibt gerne ein bisschen." Griesbach hatte volles schwarzes Haar, war drahtig, trug eine leichte Brille mit Tönung. Er trieb Sport, das verrieten sein Aussehen und sein Auftreten. Stachelmann fühlte sich noch hässlicher.
Griesbach grinste. "Sie denken da an seinen Durchbruch im Historikerstreit?"
Stachelmann musste lachen. "Ihr geheimes Spezialgebiet ist offenbar die Militärgeschichte."
"Gewiss, aber nur solange es um das Gemetzel unter Kollegen geht. Und Kolleginnen natürlich."
"Denken Sie da an Ihre Frau?" Es rutschte Stachelmann heraus.
Griesbach lachte. Er hatte ein offenes Lachen. "Die darf zurzeit nicht Mitmetzeln. Hat sich an der FU, dann an der Humboldt von Zeitvertrag zu Zeitvertrag gehangelt. Aber mit einer Festanstellung wurde es nie etwas. Dabei ist sie spezialisiert auf die SED, man sollte doch denken, dafür gebe es Bedarf. Aber Berlin ist pleite."
"Dann ist sie jetzt arbeitslos. Haben Sie Kinder?"
Griesbach schüttelte den Kopf. "Die sind nicht Freizeit-kompatibel." Er lachte. "Wir reisen gerne und treiben Sport. Aber das ist natürlich nicht so aufregend wie das, was Sie erlebt haben. Bohming hat mir einiges erzählt. Ich weiß natürlich nicht, ob das alles stimmt. Darf ich Sie mal einladen, meine Frau würde sich auch freuen. Dann müssen Sie uns aber etwas von dieser Holler-Geschichte erzählen."
Stachelmann sah sich in der Erinnerung mit Anne in seinem Dienstzimmer, wie sie die Akten filzten. "Ich hatte gehofft, es sei vorbei."
Griesbach schaute ihn erschrocken an. "Tut mir Leid, ich wollte nicht aufdringlich sein." Er erhob sich. "Aber die Einladung steht, über einen Termin sprechen wir noch. Und wenn Sie keine Lust haben, von Ihren Abenteuern zu berichten, dann reden wir über was anderes." Er winkte Stachelmann freundlich zu und verließ den Raum.
Stachelmann starrte auf die geschlossene Tür. Es schien ihm, als hätte nichts von dem, was er tat und dachte, einen Sinn. Ihm fielen die alten Leute auf der Beerdigung ein, ihr Hass. Sie trugen die gleiche Lüge mit sich herum wie der Vater. Wir sind nicht Schuld, wir haben nur Befehle befolgt, es war unsere Pflicht. Stachelmann überlegte, was geschehen wäre, wenn sein Vater früher darüber gesprochen hätte, von sich aus. Es hätte ihre Beziehung früher zerstört. Ihre beiden Wahrheiten waren nicht zu versöhnen und nicht zu widerlegen. Sie überlappten sich nirgendwo. Ihr Streit hatte sie nicht weiter gebracht, sein Vater begriff ihn nicht, so, wie er den Vater nicht begriff. Er spürte einen Anflug von Reue. Warum hatte er den Vater bedrängt? Der hätte die Lüge mit ins Grab nehmen können, niemandem hätte es geschadet, und gemessen an den Naziverbrechern, gehörte der Vater zu den kleinen Rädchen im Mordgetriebe. Stachelmann überlegte, ob er ungerecht gewesen war. Es wäre nicht mehr gutzumachen. Wenn er nach dem letzten Gespräch an den Vater gedacht hatte, dann im Zorn über die Halsstarrigkeit des Alten.
Da fielen ihm die Spaziergänge im Sachsenwald ein, er mit seinem Vater. Er löcherte ihn mit Fragen. Wie groß ist der Mond? Warum wird man schneller müde, wenn man schneller läuft, als wenn man dieselbe Strecke langsam zurücklegt? Warum ist der Himmel blau und nicht rot? Und vielleicht waren es Vaters Geschichten über den Alten von Friedrichsruh im Sachsenwald, den der Kaiser Wilhelm zwo aus dem Amt warf und damit Deutschlands Untergang einleitete. Bismarck war Vaters Held, und eine Weile hielt ihn der Sohn für einen Riesen, der jeden Augenblick im Wald vor ihnen stehen konnte. Im Sachsenwald setzte der Vater die Wurzel für die Geschichtsneugier des Sohns, auch wenn sich die zunächst auf Helden richtete, wie Bismarck einer war oder Schlieffen, der ältere Moltke und Hindenburg. Es dauerte seine Zeit, bis Stachelmann das Reich der Helden verließ, in den Träumen war er daraus nie ganz verschwunden.
Vielleicht begann er erst mit dem Tod des Vaters zu verstehen, wie der ihn auf einen Weg geführt hatte, ohne führen zu wollen. Als Stachelmann die Quarta besuchte, erklärte er seinem Vater, er wolle später Historiker werden. Der Vater legte die Zeitung weg und lächelte, wie er über die vorherigen Berufswünsche gelächelt hatte. Als Stachelmann die Bilder sah, spürte er einen Kloß in der Kehle.

***

Immer wenn er draußen Schritte hörte, hielt er den Atem an, um vorbereitet zu sein. Aber immer entfernten sich die Schritte wieder, ohne dass jemand die Tür oder die Klappe öffnete; es schien, als hätten sie ihn vergessen. Ab und zu klickte es an der Tür. Unvorbereitet, er hatte niemanden kommen gehört. Er wusste nicht mehr, seit wann er in der Betonhöhle saß. Irgendwann schlief er ein. Es knallte metallisch an der Tür. "Aufstehen!" Ein Wärter schlug sein schweres Schlüsselbund von außen gegen das Schloss. Der Gefangene setzte sich auf und starrte an die Wand. Alles verschwamm ihm vor den Augen. Er folgte der Linie, die das Ocker trennte vom Schmutzigweißen. Er begriff nicht, was mit ihm geschah. Gestern früh hatten sie ihn aus dem Bett geklingelt, sie waren zu zweit. Sie durchwühlten die Wohnung, packten Papiere aus seinem Schreibtisch in eine Kiste. Als er fragte, was sie täten, antwortete einer: "Sie reden nur, wenn Sie gefragt werden." Nachdem die Suche beendet war, erklärte der Mann: "Wir nehmen Sie mit zur Klärung eines Sachverhalts." Dann zwangen sie ihn, sich anzuziehen, und legten ihm Handschellen an. Auf der Straße begegnete ihnen eine Nachbarin, sie hatte bisher freundlich gegrüßt, jetzt drehte sie sich weg. Im Auto wartete ein Fahrer. Um was es gehe, fragte der Gefangene, als das Auto losfuhr. "Das wissen Sie genau!", schnauzte ihn der Mann an, der neben ihm saß. "Seien Sie ruhig!" Sie zwangen ihn, sich nach vorne zu beugen, dann legten sie eine Decke über ihn. Sie fuhren eine Weile, dann hielt der Wagen. Die Decke wurde weggezogen. "Aussteigen!" Dann durchsuchten sie ihn, gaben ihm Wäsche und Geschirr und sperrten ihn in die Betonzelle.
Irgendwann verlor er das Zeitgefühl, immer brannte das Licht. Er fand keinen Rhythmus in den Schritten auf dem Gang. Der Hunger meldete sich. Er stand auf und klopfte gegen die Tür. Er wartete, nichts geschah. Er klopfte wieder. Nichts. Dann näherten sich Schritte, er klopfte. Die Schritte entfernten sich wieder.

 

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